Das Transcontinental Race ist das längste Ultra-Distanz-Radrennen durch Europa. Es wird seit dem Jahr 2013 veranstaltet und bei dem Rennen gilt das Selbstversorgerprinzip. Raphael aus Mannheim hat daran teilgenommen und dabei 16 Länder durchquert. Hier ist sein Erfahrungsbericht.
Raphael aus Mannheim reist gerne. Allerdings fallen seine Trips meist recht sportlich bis ambitioniert aus. Am liebsten ist er mit dem Rad unterwegs, Backpacking ist seine große Leidenschaft. Doch diesmal hat er an einem außergewöhnlichen Radrennen teilgenommen. Ein Sport- und Outdoor-Abenteuer der besonderen Art. Hier ist sein Bericht:
Das Transcontinental Race: Viertausend Kilometer, zwei Reifen und eine Unterhose
Eigentlich begann alles als Schnapsidee im Zuge völliger Selbstüberschätzung. Im letzten Winter studierte ich ein Semester in Nordspanien und radelte hierzu mit Rennrad und großen Gepäcktaschen von Mannheim nach Spanien und später dann weiter nach Marokko. Dort angekommen suchte ich nach einer neuen Herausforderung und entdeckte ein Video vom Transcontinental Race.
Dabei handelt es sich um ein seit 2013 jährlich stattfindendes Ultradistanz-Selbstversorger-Radrennen, quer durch Europa. Vorherige Hotelbuchungen oder Unterstützung von Dritten – beispielsweise durch Teams, wie bei der Tour de France – sind verboten. Erlaubt ist nur, was vor Ort für jeden Fahrer kommerziell erwerblich ist, beziehungsweise auf dem eigenen Fahrrad transportiert wird. Start und Ziel sowie die Kontrollpunkte (Checkpoints) variieren hierbei zumeist jedes Jahr.
Die Strecke von Belgien nach Griechenland, mit dem GPS-Gerät aufgezeichnet
Die Strecke zwischen den Checkpoints wird von jedem der knapp 350 startenden Teilnehmer eigenständig im Voraus gewählt. Neben der physischen und psychischen Belastbarkeit sind daher auch die vorherige Planung und das Equipment wichtige Säulen einer erfolgreichen Teilnahme. Viele erfahrene Radsportler setzen sich zum Ziel, die knapp 4.000 Kilometer und 40.000 Höhenmeter innerhalb der maximalen Renndauer von 16 Tagen zu absolvieren. Der diesjährige Gewinner schlief nur knapp drei Stunden pro Nacht, um die Gesamtdistanz in unter neun Tagen zu bewältigen.
Vorfreude auf eine Bergabfahrt kurz hinter der italienisch-slowenischen Grenze
Und dann gab es noch mich, den „Underdog“ schlechthin. Ich war zuvor nie mehr als 200 Kilometer pro Tag geradelt. Hatte weder Erfahrung, noch viel Startkapital oder die für ein solches Abenteuer geeignete Ausrüstung. Während die meisten Teilnehmer einen Fahrradcomputer und Navigationsgerät sowie mehrere Backupgeräte mitführten und die eigene Route akribisch geplant hatten, jede Straßenbeschaffenheit, jeden zu überwindenden Berg und für Fahrräder verbotenen Tunnel und Straße kannte, habe ich in den drei Nächten vor dem Start meine Route durch die 16 Länder eher sporadisch geplant und auf eine 2,50 € Handy-App überspielt. Das gebraucht gekaufte Cyclocross Fahrrad – eine Art Rennrad mit breiteren Reifen und Scheibenbremsen – wurde zuvor von einem Freund zusammengeschraubt.
Das Transcontinental Race – Anmeldung und Start
Und dann stand ich vor dem Start im belgischen Geraardsbergen. Während des finalen Teilnehmerbriefings vor Rennbeginn sprach auch der Sohn eines im vergangenen Jahr bei einem Autounfall verstorben TCR-Teilnehmers – ein für alle Anwesenden ergreifender Moment. Mit ihm verstarben in jüngerer Vergangenheit insgesamt drei Teilnehmer bei Ultradistanz Radrennen, so auch der Transcontinental Race Gründer Mike Hall, in Australien. Diese Rede war nochmals ein Weckruf, stets aufmerksam zu bleiben und auf die eigene Sicherheit zu achten.
Photocredit: The Transcontinental Race | Das überschaubare Setup: Kleidung, Werkzeug und Camping Equipment sind am Rad verstaut
Gestartet wurde am 29. Juli um 22.00 Uhr abends. Die ersten Kilometer waren „atemberaubend“: Viele Einheimische und Schaulustige feuerten am Wegesrand den Schwarm aus grell blinkenden Fahrradlampen und reflektierenden Sicherheitswesten an und mit jeder neuen Straßenverzweigung bogen mehr und mehr Teilnehmer auf ihre persönlichen Routen ab, in Richtung der Silvretta Hochalpenstraße und dem Bielerhöhe Pass in Österreich, dem ersten Checkpoint.
„Atem raubend“ waren die ersten Kilometer für mich, da ich nie zuvor mein Equipment wie z.B. den neuen Speichendynamo, die Beleuchtung, den Sattel oder das Trikot getestet hatte. Fast schon selbstironisch belächelte ich meine Naivität, im Hinblick auf die langwierigen und unzähligen Diskussionen in Onlineforen über den besten Sattel und die effizientesten und gewichtssparendsten Tipps und Tricks anderer Teilnehmer.
Nachtlager für 4-5 Stunden – und wenn man bei Käte nicht weiter schlafen kann, fährt man eben weiter…
Ich überstand die erste Nacht mit ein paar Stunden Schlaf auf einem Supermarktparkplatz und fuhr am ersten Tag von Zweibrücken nach Konstanz und am darauf folgenden Tag weiter zum ersten Checkpoint. An jedem Checkpoint wurde man registriert, bekam einen Stempel in die Fahrerunterlagen und musste einen vorgegebenen, teilweise unbefestigten und nervenaufreibenden Parkour absolvieren. Als ob die Gesamtdistanz und Höhenmeter noch nicht genügen würden.
Hier mit meiner „vermeintlichen“ Regenjacke, eigentlich aber doch nur Windjacke. Eine Regenjacke habe ich dann später gekauft!
Abfahrt in die Dunkelheit, aber bald versagen die Bremsbeläge. Bedeutet: Schrittempo und „abgebremste“ Schuhsohlen!
Zu meiner eigenen Überraschung erreichte ich nach knapp fünf Tagen den zweiten Checkpoint, Mangart Sedlo in Slowenien. Mit jedem Tag gewöhnte sich mein Körper mehr an die Dauerbelastung und die Schmerzen. Insbesondere die Tage im alpinen Gelände bereiteten meinen Knien große Probleme. So wurden neben Coffein-Tabletten und Salben immer wieder auch Schmerztabletten, insbesondere gegen Gelenk- und Rückenschmerzen, Bestandteil des Radrennens…
Aussicht in Richtung Slowenien: Schnell was essen, Flaschen auffüllen und die nächsten 50km auf dem Handy einprägen
Das Rennen – Die Herausforderung
Nach Slowenien waren subjektiv die physischen Belastungshöhepunkte überwunden und so begann die eigentliche Tortur für die Psyche: Das Ziel im südlichen Griechenland nahezu schon vor Augen, musste man nun für das Erreichen des dritten Checkpoints, den Karkonosze Pass in Polen, eine Kehrtwende machen und nordwärts fahren. Insbesondere in diesen Tagen gab mir eine eigens dafür angelegte WhatsApp-Gruppe mit Freunden und der Familie enorm Kraft und die nötige moralische Unterstützung.
Am polnischen Karkonosze Pass: Registrieren, Fahrerkarte abgestempeln lassen mit Uhrzeit und Datum
Für mich wurde es – neben den Strapazen – nach dem dritten Checkpoint landschaftlich besonders reizvoll. Kroatien und der Balkan bieten eine großartige, vielschichtige Natur und noch greifbare Geschichte. So befand sich der vor Giechenland letzte Checkpoint in Bielašnica in Bosnien. Der steile, unwegsame und für viele platte Reifen und Stürze verantwortliche Schotter-Parkour führte zum ehemaligen Austragungsort der Olympischen Winterspiele ’84, welcher im späteren Bosnienkrieg als Munitionslager, Gefängnis und Folterkammer genutzt wurde und Schauplatz einer der brutalsten Konflikte des 20. Jahrhunderts war.
Ein Teil der ursprünglich für die Olympischen Spiele erbauten Anlage
Der härteste Teil wurde morgens um 5:00 Uhr im dichten Nebel in Angriff genommen – ohne Frühstück
Über die Grenze nach Montenegro und in eine großartige Landschaft
Durch ein Tal mit vielen in den Fels gehauenen Tunnel und einem tollen Sonnenuntergang. Nur noch 700 km to go!
Körperlich hart wurde das Radrennen für mich dann abermals in Albanien und Montenegro, als ich durch schlechtes Wasser, hohe Tagestemperaturen und generelle Erschöpfung krank wurde.
So manches „Nahtoderlebnis“ von überholenden Trucks auf vielbefahrenen Straßen führte zu tränenreichen und emotional geladenen Momenten. In Erinnerung blieb mir ein Omnibus, welcher mich während eines Überholmanövers um nur wenige Zentimeter verfehlte und durch dessen Luftstoß ich bei hoher Geschwindigkeit fast vom Fahrrad stürzte. Der dahinter folgende LKW bremste ab und der Beifahrer kurbelte seine Scheibe herunter. Sein Gesichtsausdruck und seine Gestikulation, ob ich in Ordnung sei, verdeutlichten mir nochmals, wie knapp es gewesen sein muss und wie viel Glück ich hatte.
Nach einer vermutlich auf Energiemangel zurückzuführenden kurzen „Ohnmacht“ in einem Straßengraben wurde mir warme Suppe, eine Dusche und die Möglichkeit für einige Stunden zu rasten angeboten. Nach der ersten richtigen Mahlzeit seit Tagen fuhr ich nun zunehmend in den kühleren Nächten in Richtung Süden.
Wie mein Gemütszustand konnte sich auch das Wetter schnell ändern. Platzregen am letzten Renntag – noch 260 km und die Deadline naht
Das Transcontinental Race – Das Ziel
Durch das Erkranken verlor ich Zeit und kam schließlich nach 16 Tagen, nur eine Stunde und sieben Minuten vor Zielschluss als 105. und zugleich letzter offiziell gewerteter Solo-Fahrer bei den berühmten Klöstern im griechischen Meteora an. Nur knapp die Hälfte der in Belgien gestarteten Teilnehmer hatte die Ziellinie überquert. Viele Teilnehmer waren im Ziel versammelt und wir feierten gemeinsam das offizielle Rennende. Die Stimmung war großartig und wir erzählten uns von Begegnungen und dem Erlebtem. Es wurde bis in die Nacht hinein gefeiert und gemeinsam gelacht, obgleich ich mich sehr nach einem Bett sehnte. Dieses habe ich dafür in den darauffolgenden drei Tagen dann kaum verlassen…
Erschöpft, aber stolz. Aus Weggefährten sind im Ziel Freunde geworden
Mein persönliches Fazit? Schwer zu formulieren… Die Teilnahme am Transcontinental Race war mein erstes Radrennen und eigentlich kein Rennen in diesem Sinne für mich. Vielmehr war es ein riesengroßes Abenteuer und eine Reise ins Ungewisse. Ich durfte nicht nur neue Länder kennenlernen, sondern gleichzeitig auch eigene körperliche und mentale Grenzen erfahren. In knapp 16 Tagen fast 4000 Kilometer und 40.000 Höhenmeter durch 16 europäische Länder radeln – das war schon krass!
Da ich erst die Nacht vor dem Rennstart gepackt habe, hatte ich neben meiner Bankkarte übrigens auch eine zweite Unterhose vergessen! Ich will damit sagen: In der Geschichte des Transcontinental Race gab es vermutlich wenige Fahrer, die schlechter vorbereitet und trainiert waren als ich. Aber vielleicht bin ich gerade dadurch extrem gewachsen, habe viel für mich mitgenommen und über mich bzw. meine persönliche, abrufbare Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit gelernt. Ich habe wundervolle Landschaften gesehen, wunderbare Menschen kennengelernt und neue Freundschaften geknüpft. Es war eine der absurdesten und zugleich wertvollsten Erlebnisse, die ich bisher machen durfte.
Ob ich es nochmal machen würde? Vielleicht – mal schauen. Aber dann sicherlich mit einer besseren Planung und einem strukturierteren Training. Und übrigens, ich kann euch beruhigen: Meine einzige Unterhose habe ich natürlich jede Nacht gewaschen.
Mein persönliches Highlight: Die Klöster von Meteora. Kurz nach diesem Foto werde ich von einem Straßenhund gejagt!
Raphael studiert Medizintechnik an der Hochschule Mannheim. In seiner Freizeit engagiert er sich ehrenamtlich beim Arbeiter-Samariter-Bund und ist passionierter Hobbyläufer und Radfahrer. Sein Ziel ist es, in jedem neuen Lebensjahr mindestens ein neues Land mit dem Rad zu bereisen.
Mehr Infos über Raphael sowie Fotos von seinen Rad-Abenteuern findest du auf Instagram. Per Mail erreichst du ihn unter raffaradelt@gmail.com.
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