Voluntourismus: Reist du noch oder volunteerst du schon?

Voluntourismus Freiwilligenarbeit im Ausland Kritik

Nach dem Abi oder Bachelor endlich auf Weltreise gehen und ferne Länder, einsame Buchten, tolle Sandstrände entdecken. Gerne kombinieren Backpacker ihren Trip mit einem Freiwilligendienst, um sich unterwegs sozial zu engagieren. Freiwilligendienste, die an sich eine gute Sache sind, kann man aber auch kritisch sehen – wie Robert Bichler in seinem Gastbeitrag über Voluntourismus beschreibt.

Reisen und Freiwilligenarbeit leisten – eine gute Idee?

Von Robert M. Bichler

Meeresbiologen auf den Fidschi-Inseln unterstützen, beim Hausbau-Projekt auf Jamaika mit anpacken, im Waisenhaus in Costa Rica helfen. Angebote wie diese gibt es mittlerweile viele im Netz. Und das Angebot an Diensten im Ausland wird immer größer. Immer mehr junge Erwachsene entscheiden sich dafür und werden im Ausland aktiv. Wenn man genauer hinschaut, dann ist Freiwilligenarbeit nicht gleich Freiwilligenarbeit. Prinzipiell unterscheidet man zwischen drei verschiedenen Möglichkeiten:

  • bei „klassischen Freiwilligeneinsätzen“ arbeitet man in der Regel mehrere Monate im Freiwilligendienst in einem Projekt mit
  • in der „flexiblen Freiwilligenarbeit“ engagieren sich Freiwillige für einen recht kurzen Zeitraum, meist für ein paar Wochen, in einem Projekt – sie wird immer beliebter
  • bei den „Lerneinsätzen“ oder „Workcamps“ arbeiten vor allem Jugendliche für einen sehr kurzen Zeitraum (zwei bis vier Wochen) zusammen mit Menschen aus den Gastländern in einem Projekt – der Fokus liegt dabei auf interkulturellem Verständnis

Voluntourismus Freiwilligenarbeit im Ausland Kritik

Die beliebtesten Destinationen für Freiwilligendienste sind das südliche und östliche Afrika, Südostasien und Lateinamerika. Die Tätigkeitsbereiche sind ebenfalls breit gefächert: Von Umweltprojekten wie z.B. Schildkröteneier beschützen und Müllsammeln bis hin zur Mitarbeit in Kindergärten, Jugendeinrichtungen, Frauenhäusern und Altersheimen reicht das Portfolio von privatwirtschaftlichen Reisebüros oder NGO-basierten Anbietern.

Freiwilligendienst im Ausland – ein boomendes Geschäft

Freiwilligenarbeit im Ausland wird als die am schnellsten wachsende Sparte im Individualtourismus gehandelt. Speziell Angebote im Bereich „flexible Freiwilligenarbeit“, auch Voluntourismus – ein Kunstwort aus Volunteering und Tourismus – genannt, verzeichnen ein rasantes Wachstum. Auch die „klassische Freiwilligenarbeit“ wird verstärkt nachgefragt. Laut eigenen Angaben gehen bei dem Freiwilligen-Programm weltwärts jährlich über 10.000 Bewerbungen ein. Seit 2008 wurden mehr als 20.000 Freiwillige entsendet, 63 Prozent davon waren weiblich mit einem Durchschnittsalter von 19,8 Jahren. // Quelle: weltwärts

Voluntourismus Freiwilligenarbeit im Ausland Kritik

Während NGO-basierte Anbieter, die oft staatliche Unterstützung in Form von Förderungen erhalten, Freiwillige nur für längere Zeiträume – meist mehrere Monate bis zu einem Jahr – und nach den Bedürfnissen und Vorgaben der Partnerorganisationen in den Gastländern vermitteln, verkaufen kommerzielle Anbieter Freiwilligenarbeit im Ausland als touristisches Produkt, bei dem vor allem die Volunteers im Mittelpunkt stehen. Solche Anbieter verzichten immer wieder auch im Sinne der eigenen Profitmaximierung auf eine Vorbereitung, Begleitung und Nachbereitung der Volunteers. Es wird mitunter suggeriert, dass unqualifizierte Helfer nur schon aufgrund ihrer Anwesenheit „die Welt retten“ könnten.

Voluntourismus – was ist daran problematisch?

Daraus resultierende Probleme in Bezug auf Voluntourismus können sein, dass die Organisation vor Ort keine Verwendung für die Volunteers haben. Wir vom Verein DeeperTravel beobachten beispielsweise immer wieder, dass bei Kinder- und Jugendeinrichtungen zu viele Freiwillige im Verhältnis zu den betreuenden Kindern bzw. Jugendlichen vermittelt werden. In solchen Fällen hat einerseits die Organisation bzw. die Zielregion keinen Mehrwert von den Freiwilligeneinsätzen und andererseits führt dies auf Seiten der Volunteers immer wieder auch zu Frustrationen.

Ein weiteres Problem kann sein, dass die Freiwilligen im Bereiche Voluntourismus mit den zugewiesenen Aufgaben überfordert sind, da sie nicht die entsprechenden Qualifikationen mitbringen und auch nicht entsprechend auf den Einsatz vorbereitet wurden. Diese Frustration können durch eine fehlende Betreuung vor Ort noch verstärkt werden. Und wenn keine Nachbereitung des Einsatzes angeboten wird, kann über das Erlebte auch nicht ausreichend reflektiert werden.

Zudem kommt es immer wieder vor, dass in der Spendenwerbung und auch bei der Rekrutierung von Volunteers auf rassistische, stereotype und neo-kolonialistische Bilder zurückgegriffen wird. Hier zwei Beispiele: Kinder werden von oben herab fotografiert, sind schlecht angezogen oder haben schmutzige Kleidung an. Die weiße Frau, in dem Fall die Freiwillige, wird umringt von offensichtlicher Armut. Es ist also durchaus verständlich, dass sich junge Leute mit einer teils fehlgeleitenden Vorstellung eines „weißen Retters“ auf den Weg machen.

DeeperTravel

Darum haben wir den Verein DeeperTravel gegründet

Aus diesem Grund haben wir, Eva Gaderer und Robert Bichler, den Verein DeeperTravel gegründet. Wir finden es wichtig, dass die Freiwilligen dazu ermutigt werden, über ihre eigenen Motive und über ihre Rolle als Volunteer nachzudenken. Wir verstehen Voluntourismus als „im Idealfall fachlich betreute Reise, die bewusst eine Integration von Freiwilligenarbeit und touristischen Erlebnis für einen bestimmten Zeitraum herbeiführt, mit dem Ziel die Lebensbedingungen der Bevölkerung der Zieldestination nachhaltig zu verbessern.“ // Quelle: Gaderer/Bichler/Rössler 2016

Basierend auf dieser Definition setzt sich „DeeperTravel – Verein zur Förderung Globalen Lernens und Interkultureller Kommunikation“ seit dem Jahr 2014 für die Etablierung von Qualitätskriterien auf drei Ebenen ein:

1) Betreuung der Freiwilligen:

  • Seriöse Auswahl von Freiwilligen nach Qualifikationsprofilen
  • Umfangreiche Vorbereitung, Betreuung vor Ort und Nachbereitung
  • Ausarbeitung von differenzierten Lehr- und Lernkonzepten
  • Unterstützung bei Sprach- und Kulturerwerb

2) Integration von Freiwilligenarbeit und touristischem Erlebnis

  • Verzicht auf menschenunwürdiges (armutsbasiertes) Marketing
  • Verzicht auf eine kurze Einsatzdauer
  • Bewahrung jeglicher Menschenrechte und Sicherstellung des Kinderschutzes
  • Ermöglichung eines langfristigen Engagements über die Einsatzdauer hinaus

3) Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung in der Zieldestination

  • Ausrichtung nach den Bedürfnissen, Problemfeldern und Zielvorgaben, die in den Zielländern formuliert werden
  • Faire und langfristige Partnerschaften mit lokalen Organisationen
  • Regelmäßige Evaluierung von Projekten und Programmen

Nur so ist während des Einsatzes ein Austausch auf Augenhöhe möglich und es kann die Basis für einen für alle Beteiligten bereichernden Freiwilligeneinsatz gelegt werden.

DeeperTravel

Der Verein DeeperTravel –  was wir machen

Unsere Ziele wollen wir einerseits mit unserer Online-Plattform Volunteer Reisen und andererseits mit unserem Offline-Bildungsangebot erreichen. Auf der Online-Plattform und auf unseren Social Media Kanälen finden sich Tipps zur Buchung einer Volunteer Reise. Außerdem stellen wir nachhaltige Vermittlungsorganisationen vor, berichten über aktuelle Entwicklungen und erklären Hintergründe.

Offline bieten wir Workshops für die Vor- und Nachbereitung von Volunteers an – je nach Zielgruppe und Vorgaben auch mit Impulsvorträgen und/oder abschließenden Diskussionsrunden. Sehr beliebt ist unser Angebot „Volunteer Battle“. Hier beleuchten wir Chancen und Herausforderungen aus unterschiedlichen Perspektiven, die dann wie bei einem Poetry Slam in Reinform gebracht werden. Schau mal hier auf Facebook!

Wir wenden in unseren Workshops beispielsweise auch World-Café, Open Space und andere Methoden an, um Menschen auf ihren Auslandsaufenthalt vorzubereiten. Themen sind dabei Kolonialismus, Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, Nachhaltigkeit und viele weitere Themen.

In der Nachbereitung richten wir unseren thematischen Fokus auf die Reflexion der eigenen Rolle als Reisende und auf das Thema Nachhaltigkeit. Dafür haben wir einen eigenen Workshop („Are you the next Toptourist?“) entwickelt, eine Art Impro-Theater. Darüber hinaus führen wir regelmäßig Workshop und Vorträge zum Thema „Social Media für NROs in der Entwicklungszusammenarbeit“ durch und helfen Vereinen bei der Konzeption und Umsetzung von Freiwilligenprogrammen.

DeeperTravel

Voluntourismus: Was haben wir in Zukunft vor?

Wir sind gerade dabei die Vernetzungsplattform „DINTA – Digitale Initiative Nachhaltiger Tourismus Austria“ aufzubauen. Ziel der Plattform ist es, mehr Sichtbarkeit von nachhaltigen Tourismusangeboten aus und in Österreich sowie mehr öffentliche Aufmerksamkeit für die durch Reisen hervorgerufenen Herausforderungen auf ökologischer, ökonomischer und sozialer Ebene zu erreichen. Wir wollen mit DINTA umfassend über das Thema nachhaltiger Tourismus informieren und in weiterer Folge unsere Besucher dazu motivieren, dahingehende Überlegungen in der Reiseplanung und Entscheidung zu berücksichtigen.

Auf dem Laufenden bleiben kann man in der Zwischenzeit in unserer Facebook-Gruppe DeeperTravel – FAIRreisen und Nachhaltiger Tourismus. In einem weiteren Schritt wollen wir auch eine Vermittlungsplattform etablieren. Damit soll die Möglichkeit geschaffen werden, nachhaltige Reisen bei ausgewählten österreichischen Tourismusanbietern zu buchen.

Selbstverständlich werden wir uns auch weiterhin mit allen Aspekten der Freiwilligenarbeit im Ausland beschäftigen und zur Diskussion anregen. Für die Zukunft haben wir uns eine großangelegte Studie über die aktuelle Lage des freiwilligen Engagement von Österreichern im Ausland vorgenommen. Leider ist bis jetzt die Finanzierung noch nicht geklärt.

Voluntourismus Freiwilligenarbeit im Ausland Kritik DeeperTravel

Robert M. Bichler, der für uns diesen Gastbeitrag geschrieben hat, ist Blogger, Sozialer Nomade, Traveller und Projektreferent bei DeeperTravel.

Buchtipp: FAIRreisen statt verreisen – Nachhaltig unterwegs als Volunteer. Eva Gaderer, Robert M. Pichler. Erhältlich als E-Book

Wenn du dich für fairen und nachhaltigen Tourismus engagieren möchtest, findest du hier alle Informationen über unseren Verein. Wir freuen uns immer über neue Mitglieder, Gastautoren und Unterstützer.

Falls du über 30 Jahre alt bist und nach einem guten Freiwilligendienst suchst, könnte der „Weltdienst 30+“ etwas für dich sein. Schau mal nach dem Artikel hier.

Freiwilligendienste und Volunteering kritisch gesehen #Freiwilligendienst #Praktikum #Ausland #Workandtravel #Volunteers


Hinterlasse einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert