Bericht von Nina Hornauer, ninahornauer@gmail.com USA: Plastiktüten und die Offenheit der Menschen An der Kasse im Supermarkt fragte mich der Mann: „Pmmmmhmm ar mmmheer?“ „Excuse me?” „pmmmmhmmm ar mmmheer?“,
wiederholte er und sah mich an, als sei ich der dümmste Mensch, der ihm jemals begegnet sei. Ich schluckte und fragte erneut: „Sorry, can you repeat that please?“ Er warf den Kopf zurück und verdrehte die Augen. Ihm war nun klar, dass er es mit einer Idiotin zu tun hatte, und deshalb wiederholte er ganz langsam, als rede er mit einem Kind: „Pmmmmm… Hmmm ar mmmpheeer??“
Langsam stiegen mir Tränen in die Augen: „Yes?“ Er sah mich an, als wolle er mir meinen Milchkarton um die Ohren hauen. Dann seufzte er und packte meine Einkäufe in eine Plastiktüte. Ah, Plastic or Paper. Das Material, aus der die Tüte gemacht ist, in die er meine Einkäufe packt. Für mich. Und die er mir, wenn es viele Tüten sind, sogar zu meinem Auto schiebt und in den Kofferraum stellt.
Da ich diesen Service aus Deutschland nicht kannte, hatte ich keine Ahnung, was dieser Mann von mir wissen wollte. Als ich nach Virginia zog, dachte ich eigentlich mein Englisch sei sehr gut. Aber in den ersten Monaten passierten mir Momente wie mit der Einkaufstüte immer wieder, bis ich mich an den Südstaatenakzent und das Nuscheln einiger Verkäufer gewöhnt hatte. Im College ging es schon besser. Hier fiel es mir leicht, mich durch wissenschaftliche Fachliteratur zu kämpfen. Amerikanische Wissenschaftler lieben einfache Sätze und denken nicht, dass ihr Buch an Qualität gewinnt, wenn sie die Sätze so kompliziert wie möglich verschachteln und soviel Fremdworte wie möglich einwerfen. Im Vergleich zu meinem Germanistik-Bummelstudium in Frankfurt musste ich mich richtig zusammen reißen. Professor Davis, die einen Englischkurs für ausländische Studenten lehrte, sagte mir, als ich das dritte Mal zu spät zu ihrem Kurs erschien: „Ich verstehe, dass du dich umstellen musst. Aber das ist keine deutsche Universität, in der du erscheinen kannst, wann du möchtest.“
Mir wurde einer der Professoren als Berater zur Seite gestellt und einmal im Semester setzte ich mich mit ihm zusammen und plante die Kurse, die ich nehmen wollte. Professoren waren ansprechbar. Man musste nicht Wochen vorher einen Termin mit ihnen ausmachen. Sie hatten keine Sprechstunden, wenn ihre Bürotür offen war, durfte man eintreten. Nach drei Jahren, nach Anrechnung von Abiturbonus und einigen Kursen aus dem deutschen Studium, hatte ich meinen Bachelor of Arts in der Hand. Viele Deutsche halten Amerikaner für oberflächlich. Und seit Bush an der Macht ist, für dumm und arrogant. Das mag für viele zutreffen, insbesondere für Bush. Aber ich halte die meisten Menschen, die ich kennengelernt habe für offen. Es ist ein Mentalitätsunterschied, der vielen Deutschen nicht bewusst ist. Menschen gehen sehr schnell aufeinander zu, sind Meister des Small Talks, werden schnell persönlich und können sich aber auch schnell wieder entfernen. Am eindrucksvollsten fand ich die Offenheit und die Unkompliziertheit.
Ich belegte einen Kurs über Europäische Geschichte im 20. Jahrhundert. Deutschland und der Zweite Weltkrieg waren hier das Hauptthema. „Lernt ihr eigentlich in Deutschland in der Schule, dass Hitler ein bad guy war?“ fragte James, der neben mir saß. „Natürlich, wir haben den Krieg verloren. Meinst du wir beten Hitler noch an?“ Er wusste natürlich, dass Deutschland eine Demokratie ist. Er konnte sich nur nicht vorstellen wie es ist, mit dieser Geschichte aufzuwachsen.
In seiner Schule hing die amerikanische Flagge im Klassenzimmer und er lernte, dass die Väter seines Landes große Männer waren, die Freiheit liebten. Wie kann man aufwachsen mit dem Holocaust auf den Schultern? Was als „dumme“ Frage anfing, endete in einer interessanten Diskussion, in der wir beide sehr viel übereinander lernten.
Insgesamt lebte ich viereinhalb Jahre in den USA, einige Monate davon war ich beim Internationalen Währungsfond in Washington DC tätig. Jemand hat einmal gesagt: In New York schaust du den Leuten ins Gesicht, und du siehst, sie haben ein Leben. In Washington schaust du den Leuten ins Gesicht und du siehst, sie haben einen Job. Später zog ich nach Richmond, Virginia, um als Übersetzerin zu arbeiten.
Inzwischen lebe ich wieder in Deutschland und vermisse Blueberry Muffins, amerikanisches Fernsehen und manchmal die Offenheit der Menschen. Nina Hornauer