Bericht von Marietta Bianchi, marietta.bianchi@gmx.ch Thailand: Unterwegs zu neuen Herausforderungen Als ich in Chiangmai und Umgebung mit der Arbeit als Ergotherapeutin – im Rahmen eines Volontariats für eine Foundation in Chiangmai – begann, wusste ich noch nicht, wie sehr diese 6-monatige Erfahrung mein Leben prägen wird. Nun, nach einigen Monaten wieder in Europa, weiss ich, dass es mich mit allen Fasern wieder nach Chiangmai, in die thailändische Kultur und in die exotische Welt der Ergotherapie im Ausland zieht. Weshalb? Weil Therapie in Thailand nicht selbstverständlich ist. Die thailändische Kultur basiert und funktioniert als Familienmodell, denn es ist die Familie, die sämtliche Sozialaufgaben leistet, welche bei uns in Europa der Staat übernimmt. Arbeitslose werden von der Familie miternährt, alte Leute verbringen ihren Lebensabend bei den Kindern, Enkel werden oft von den Grosseltern betreut, da die Eltern am Arbeiten sind und behinderte Menschen verbringen ihr gesamtes Leben in der Familie. Die gesamte Last trägt die Familie. Selbstverständlich sind fast alle Familien arm und selbstverständlich sind Familien mit einem behinderten Kind/Erwachsenen noch ärmer als die anderen.
Da wird verständlich, dass Familien auf dem Land nicht das Geld und die Zeit aufbringen können, um einen regelmässigen Transport für Therapien im städtischen Spital zu ermöglichen. Gleichzeitig sind behinderte Menschen “sichtbar” behindert und “können” offensichtlich nichts… Deshalb wird ihnen wenig zugetraut und sie werden kaum in ihrer Selbständigkeit gefördert. Behinderte Familienmitglieder werden geliebt, gut gepflegt und sind häufig Grund grosser Sorgen. In diesem Rahmen begann ich als Therapeutin mit meinem thailändischen Fahrer, der nebenbei auch als Übersetzer und Kulturvermittler sehr hilfreich war, Familien auf dem Land wöchentlich zu besuchen und deren behinderte Kinder und Erwachsenen zu therapieren. Gleichzeitig bestand enormer Bedarf zu erklären, wie die Behinderung entstanden sein könnte, weshalb jemand nicht mehr sprechen könne, wie das Nervensystem funktioniert ect. Und gleichzeitig war es meine Aufgabe dem Kind oder der erwachsenen Person etwas “zuzutrauen” und mit Fortschritten aufzuzeigen, dass behinderte Menschen trotz ihrer Behinderung “etwas” können, dass sie üben und lernen können.
Nach 6 Monaten regelmässiger Therapien konnte ich bei allen Klienten Fortschritte feststellen. Bei einigen war es “nur” eine Reduktion des Tonus oder eine verbesserte Lagerung. Andere konnten endlich ins Spital, um grössere Beinschienen oder einen Rollstuhl zu erhalten, andere konnten besser gehen, selbständiger spielen, wagten sich nach Jahren wieder vor das Haus und wieder andere zogen sich vor dem Duschen selbständig aus. Dorthin zieht es mich wieder zurück, unmittelbar ins Umfeld der behinderten Menschen, um sie mit den dortigen Mitteln zu behandeln. Da sehe ich großen Bedarf und das wird mein Arbeitsfeld für die nächsten Jahre sein.
Verrückt, gell?
Marietta Bianchi