Bericht von Nadia Russek, nadia.russek@live.de
Mit dem Schiff auf Weltreise – ein Schuljahr auf See Die High Seas High School ist ein Schulprojekt der Hermann Lietz Schule in Spiekeroog. Sie ermöglicht jungen Erwachsenen der 11. Klasse der gymnasialen Oberstufe ein Lernen und Leben auf hoher See. Ziel ist dabei, die Leidenschaft für das Leben bei jungen Menschen auf ihrem Weg ins Erwachsensein zu wecken, jedoch auch ihnen Reife und Gelassenheit für ihre Zukunft mitzugeben. Um die halbe Welt segelt dabei das Schiff mit den Schülern, den Lehrern und der Segelmannschaft. Der folgende Reisebericht handeln vom Leben auf See und an Land und gibt einen Einblick in ein nicht ganz gewöhnliches (Schul-)jahr: Reiseroute: Kiel – Nordostseekanal – Brunsbüttel – Helgoland – Guernsey – Teneriffa – Palm Island – Tobago Cays – San Blas Islands – Martinique – Costa Rica – Kuba – Mexiko – Bermudas – Azoren – Tershelling – Borkum – Emden Stürmischer Einstieg ins Leben auf hoher See (Kiel – Helgoland)
Das Schiff hat mittlerweile eine 2360 Seemeilen lange Reise hinter sich, und die erste Etappe von Kiel nach Teneriffa ist geschafft. Es dämmert schon, in der Ferne sehe ich Land. Alle Mann sind nun auf Bereitschaft in ihren Wachen. Wir sind dabei in Santa Cruz de Teneriffa, der Hauptstadt der Insel, anzulegen. Alle besetzen die Stationen: Einer am Steuerrad, zwei an der Pier, andere mit Stoßfendern an der Reling und wieder andere an den Trossen und Wurfleinen. Das erste Ziel ist erreicht. Hinter uns liegen drei Wochen auf See, erste Erlebnisse und Erfahrungen sind gemacht.
Von Kiel aus führte uns die Reise durch den Nordostseekanal und dann in die Nordsee, die mit ihrer stürmischen See mit Windstärke zehn die „Thor“ und ihre Besatzung zu einem ungeplanten Aufenthalt auf Helgoland zwang. Dort mussten Diesel sowie Wasser gebunkert werden und das gerissene Schonersegel in einer langen Nacht geflickt werden. Auch die Mannschaft musste sich von dem Sturm, den damit einhergehenden Strapazen und der Seekrankheit erholen. Doch bald legten wir wieder ab und stellten uns erneut Wind und Wetter. Die Schule auf dem Meer ist keine pädagogische Utopie, sondern ein seit mehreren Jahren erprobtes praxisnahes Konzept, wobei „Erziehung durch die See“ das begleitende Motto ist.
Der junge Mensch, der die Kindheit hinter sich hat und auf der Schwelle zum Erwachsen sein steht, soll auf seine Fahrt in ein aktives und verantwortungsvolles Leben vorbereitet werden. „To serve, to strive and not to yield!“ (Zu forschen, neue Wege zu suchen und nicht zu jammern!“), das begleitende Motto für unterwegs, um wie die großen Windjammer des letzten Jahrhunderts dann „outward bound“ zu sein, ausgerüstet für die Fahrt ins Leben. Tagebucheintrag zum Sturm
Die Windstärke nahm gestern noch zu. Um 19h hatte das Spiel von Wind und Wellen seinen Höchstpunkt erreicht. Wir fuhren neun Windstärken und in Böen sogar bis zehn. Alles, was nun nicht völlig fest war, fiel unter Deck hin- und her. Der warme Tee schwappte aus den Tassen, und die Seekranken wurden aus den Kojen geworfen. Von 20h bis 24h hatte ich dann Wache. Ich glaube, es war nur ca. die Hälfte der Schüler in meiner Wache da. Ich stand ein paar Mal am Steuerrad und versuchte, das Schiff so gut es ging auf Kurs zu halten. Der Mond schien gelb auf die riesigen Wellenberge. So schön und fast beruhigend dies wirkte, so gefährlich war es doch für uns und die „Thor“ die wie eine Nusschale auf den Wellen tanzte.
Unser Kapitän stand auf Deck und er schien alles und jeden im Blick zu haben, zu kontrollieren und zu überprüfen. Aber irgendwann riss dann das Schonersegel und die Zahl der Seekranken nahm beträchtlich zu. Außerdem liefen wir noch immer gegen die Wellen an. Der Kapitän ließ uns beidrehen, die Wellenbewegung wurde gedämpft. Nun hatten wir Kurs auf Helgoland. Um 2h morgens erreichten wir dann die Hafeneinfahrt und 4h konnten sich dann alle nach einem waghalsigen Anlegemanöver der selbst im Hafen aufgewühlten See in die Kojen legen. Wir waren im sicheren Hafen. Am Vulkan Teide die körperlichen Grenzen getestet (Kanaren, Teneriffa) Alles ist neblig, Tau tropft von den Bäumen. Dann plötzlich klart es auf, die Sonne kommt durch. Eine karge Landschaft liegt nun vor uns, in der Ferne der Vulkan, unser Abenteuer. Auf dem Weg zum Vulkan Teíde, den wir mit Lebensmitteln und Kochgeschirr ähnlich wie damals Alexander von Humboldt nun besteigen, kommen wir uns fast wie auf dem Mond vor: Eine Wanderung durch eine bizarr anmutende Gerölllandschaft gelber bis rosa – grauer Farben ist es, die uns immer bergauf und schließlich bis zu einer kleinen Hütte, einer spanischen „Refugio“ ohne Heizung führt. Wir frieren und legen uns zu zweit, dritt und viert in die Betten. Doch die Nacht hält nicht lang an, denn schon um 4h weckt uns Elmar, unser Projektleiter. Die Endbesteigung im Morgengrauen steht uns bevor. Noch vor Sonnenaufgang die Spitze erreichen, das ist unser Ziel. Also raus in die sternenklare Nacht.
Der Anstieg wird steiler, die Luft immer dünner. Viele brechen nun ab, kehren um, wollen an der Hütte warten. Nur acht Schüler erklimmen schließlich den Gipfel des mit 3718m höchsten Berges Spaniens. Das Gefühl, es geschafft zu haben, ist unbeschreiblich. Eine weitere Grenzerfahrung liegt hinter uns. Nun freuen wir uns auf unsere Bordparty mit Jacqueline Heyerdahl. Ihr Mann, Thor Heyerdahl, Wissenschaftler und Namensgeber unseres Schiffes, wurde 1914 in Norwegen geboren und lebte auf Teneriffa. Bekannt und berühmt wurde er durch seinen 101 tägigen Segeltörn mit einem Balsaholz – Floß von den südamerikanischen Anden auf dem Pazifik nach Polynesien.
1970 überquerte er mit seiner internationalen Mannschaft auch den Atlantik von Marokko nach Barbados und wies somit nach, dass die Ozeane seit jeher die Menschen nicht voneinander trennen, sondern verbinden und räumte mit dem westeuropäischen Dogma, dass Kolumbus der erste weiße Mann in der Neuen Welt gewesen sei auf. Auf Teneriffa erkannte er die Bedeutung der dortigen Pyramiden und errichtete dort das Museum, das wir mit Jacqueline Heyerdahl besuchen werden. Der Kapitän und Eigner der „Thor“, Detlef Soitzek, war ein Freund Heyerdahls und begleitete ihn auf seinen Expeditionen.
Doch nach der Bordparty gilt es gleich wie damals Heyerdahl oder alle Urvölker zuvor, Europa den Rücken zuzudrehen und mit dem Passat die Karibik mit ihrem türkisblauen Meer in 2343 Seemeilen Entfernung anzusteuern. Doch wie lang wir dazu brauchen, weiß keiner von uns genau. Fest steht, dass wir dann endgültig den „Point of no return!“ überschreiten werden: Einen Weg zurück gegen Wind und Wellen gibt es dann nämlich in einem Segelboot nicht mehr […]
Wer wissen möchte, wie die Reise mit dem Schiff weiterging – hier geht es weiter: Teil 2
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Nadia Russek