Text von Nadia Russek, nadia.russek@live.de

Literarische Spurensuche in Paris – eine etwas andere Reise Ernest Hemingway und der „lost generation“, für die „alle Götter tot, alle Kriege gekämpft und jeder Glaube zerstört“ waren, kann man bei einem literarischen Spaziergang durch die Metropole an der Seine nachspüren. Zu empfehlen ist dabei das eher unbekannte Tagebuch Hemingway”s „Paris – Ein Fest fürs Leben“, um sich anhand dessen durch die Straßen, Cafés und Boulevards auf Spurensuche zu begeben. „Paris war eine sehr alte Stadt und wir waren jung, und nichts war dort einfach, nicht einmal Armut noch plötzliches Geld, noch das Mondlicht, noch Recht noch Unrecht, noch das Atmen von jemandem, der neben einem im Mondlicht lag“, beschreibt Hemingway seine Jahre als Korrespondent einer kanadischen Zeitschrift im Paris der 20er Jahre. „Paris“, bemerkt Hemingway, ist „ein Fest fürs Leben“ und das Exil von Künstlern und Intellektuellen, die das puritanische Amerika der Prohibitionszeit verlassen, um im „alten Europa“ zu siedeln – am liebsten am linken Seine-Ufer. Glücksspiel, Alkohol- und Drogeneskapaden bestimmen die Szene. Hemingway pflegt oft bei Gertrude Stein vorzusprechen. „Une generation perdue, das ist es, was ihr alle seid“, charakterisiert die Schriftstellerin und Kunstfreundin die jungen Leute, die im Ersten Weltkrieg waren. „Ihr habt vor nichts Respekt. Ihr trinkt euch zu Tode.“

Es ist aber auch eine Generation, die wilde Liebesaffären hat, extrem genusssüchtig ist und die feinste, beeindruckendste Literatur des 20. Jahrhunderts schafft. Francis Scott Fitzgerald, den Hemingway in Paris kennenlernt, urteilt ähnlich über seine „verlorenen“ Künstlerfreunde der Nachkriegszeit. Sie seien eine Generation, die mit der Erkenntnis aufgewachsen sei, dass „alle Götter tot, alle Kriege gekämpft und jeder Glaube zerstört“ sei.

Hemingway notierte über den Autor von „Der große Gatsby“: „Er fragte mich, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiente und ich erzählte ihm, dass ich gerade anfing als Schriftsteller zu arbeiten. Er fragte mich, was ich denn schriebe, und ich sagte ihm, Geschichten, manche unglaubhafter und schrecklicher als alles, was je geschrieben worden sei!“. In der Tat stoßen Hemingway”s Werke mit Grausamkeiten oder mit Liebesromanzen, die sich in bedrohlichen Kriegssituationen entwickeln, vor den Kopf. In der Rue du Cardinal Lemoine lebte Hemingway mit seiner Frau Hadley. Heute ist die Zweizimmerwohnung vermietet. Ausgestreckt schläft ein Clochard auf dem Kopfsteinpflaster vor der Eingangspforte. Im Untergeschoss befindet sich ein Mützenladen. Der Inhaber zeigt auf die vierte Etage „Dort, wo die Gardine hängt, lebte Hemingway. Hatte nicht mal Warmwasseranschluss, nur einen alten Ofen und Boulets, gepressten Kohlestaub, als Heizung.“ Von seiner Wohnung ging Hemingway am Lycée Henri IV vorbei „zur windgepeitschten Place du Pantheon“, bis er „auf der Place Saint – Michel zu einem guten Café kam“. Hier schrieb er und trank Rum St. James und beobachtete die schönen Cafébesucherinnen. Am Boulevard du Montparnasse stoßen auch heutige Besucher in Hemingway”s Stammcafé „Closerie de Lilas“ auf hart gesottene Lebenskünstler, die etwas auf sich halten und ein dickes Budget haben, und auf Fotos von Hemingway. „Hem and Hadley forever“ hat in schwärmerischer Bezauberung eine bibliophile Kundin in die hölzerne Tür der Damentoilette geritzt. Hemingway, der mit wachsendem Ansehen und Vermögen einen immer exzessiveren Lebensstil übte, ist ein moderner Künstler, der nach dem Elementaren und Existenziellen fragte. Dabei war dem Schriftsteller der „lost generation“ bewusst, dass seine Situation paradigmatisch war: „Alle Generationen sind durch irgendetwas verloren, waren es immer gewesen und werden es auch immer sein“. So oder so ähnlich kann ein Spaziergang durch die Vergangenheit von Paris aussehen – und wer genug vom Geist der Vergangenheit hat, wird zwischen den Zeilen des Tagebuchs mit Sicherheit einzigartige und schöne Plätze in und rund um Paris erlebt haben. Um schließlich aufzutauchen zwischen verlorenen Gartenanlagen und einsamen, doch schicken Cafés, den einstigen Buchhandlungen, die diese Generation erst nach „oben“ brachten, wie die Buchhandlung „Shakespeare and Company“. Um die Gegenwart dieser lebendigen und sich immer wieder neu erfindenden Kulturstadt zu erfahren. Nadia Russek

Lesetipp:

Paris – ein Fest fürs Leben

Ernest Hemingway

Rowohlt Verlag, Reinbek