Bericht von Nina Hornauer, ninahornauer@gmail.com
Bosnien-Herzegovina: Momentaufnahme eines Sommers
Bosnien-Herzegovina im Sommer 1999…
In einer verbrannten Ruine, die einmal ein Einfamilienhaus gewesen ist, flattert bunte Wäsche im Wind. Aus den glaslosen Fenstern klingt Musik. Viel gibt es nicht in Turbe, außer ausgebombten Häusern und einem renovierten Cafe, in dem die Männer zusammen trinken und schweigen. Arbeit hat hier niemand. Sie sind zurückgekommen, weil sie hierher gehören und nicht ins Flüchtlingslager, oder ins Ausland.
Wir sind vier Studenten auf „Fact Finding Mission“ für das College of William and Mary und die Borgenicht Peace Initiative. Die Jugendlichen, die uns ihr Dorf zeigen, haben sich einen Jugendtreff gebaut. Es ist ein Fertighaus, das sie mit eigener Kraft und nur wenigen Hilfsmitteln aus dem Boden gestampft haben. Sie brauchen diesen Treff um dort zu spielen, um sich abzulenken. Sie wollen nicht zu Trinkern werden oder drogenabhängig, wie viele andere. Sie zeigen uns ihr Dorf und sind stolz, dass sie beim Aufbau dabei sind.
Sie zeigen uns ein Minenfeld, das erst zwei Wochen vorher von den Blauhelmen geräumt wurde. Gleich daneben warnen gelbe Plastikbänder vor noch aktiven Minenfeldern. Es sind so viele in Bosnien, dass es Jahre dauern wird, die Minen zu entschärfen. Noch heute – Jahre danach – warnt das Auswärtige Amt auf seiner Webseite vor Minen und empfiehlt, geteerte Strassen nicht zu verlassen. Das erste, was uns bei unserer Ankunft gesagt wurde: Nicht vom Weg abkommen, nicht auf Gras treten. Dort könnten Minen sein. Kindern sagt man das auch. Aber wenn Kinderspielen, vergessen sie Regeln und rennen drauflos. Einige Kinder aus Turbe sind dadurch schwer verletzt oder sogar getötet worden. In diesem kleinen Dorf fließt die Hilfe sehr langsam an, sie konzentriert sich vor allem auf die großen Städte wie Sarajevo oder Mostar.
In Sarajevo pulsiert das Leben. Viele Hilfsgelder sind bereits in den Wiederaufbau geflossen. Aber genug Einzelheiten erinnern an den Krieg: Die allgegenwärtigen gelben Minenbänder, Einschusslöcher an fast jedem Haus, rote Farbflecken auf den Strassen, die daran erinnern wo die Scharfschützen ihre Opfer erschossen. An jeder Straßenecke gibt es einen Friedhof, der angelegt wurde, weil man die Toten nicht weit tragen konnte, ohne im Kugelhagel selbst zu sterben. In Sarajevo reihen sich Moscheen, katholische und orthodoxe Kirchen nebeneinander, und das Leben in den Straßencafes und Restaurants, auf den Märkten und am Abend in den Bars gibt uns einen Eindruck davon, was für eine tolerante und lebhafte Stadt Sarajevo einmal war und in ihren tiefsten Grundmauern noch ist. Sarajevo riecht nach Hoffnung.
Die Industriestadt Zenica wurde während des Krieges nie angegriffen. Aber Flüchtlingsströme und der Zusammenfall der Industrie zeigten, dass auch hier der Krieg allgegenwärtig gewesen ist. Wirbesuchen Nichtregierungsorganisationen, die es in dieser Art in Bosnien vor dem Krieg nicht gab. Sie wurden aus der Not geboren, von Menschen, die sich zur Menschlichkeit verpflichtet fühlten. Eine Organisation für Senioren wurde von einer Frau ins Leben gerufen, die alten Menschen helfen wollte, die von ihren flüchtenden Familien in der Wohnung zurückgelassen wurden und sich nicht selbst ernähren konnten. In einem Waisenhaus sehe ich das traurigste Kleinkind, das ich bisher gesehen habe. Erst nach Minuten lächelt es ein trauriges, erwachsenes Lächeln. „Manche dieser Kinder haben ihre Eltern sterben sehen“, sagt eine Erzieherin. Mehr sagt sie nicht. Wir besuchen ein Frauenhaus, in das Frauen flüchten, deren Männer ihre Kriegserlebnisse nicht anders verarbeiten konnten, als diese zu schlagen. Die Zahl der misshandelten Frauen in den Jahren nach Kriegsende ist stark gestiegen.
Am nächsten Tag fahren wir nach Mostar. Die geteilte Stadt, die oft mit Berlin verglichen wird, aber ganz anders ist. Vielleicht liegt es auch an Lana, dass wir den Krieg hier besonders spüren. Lana war 14 als der Krieg begann. Bis dahin wusste sie nicht, dass sie Muslimin ist – bis dahin war sie im kommunistischen Jugendbund und scherte sich nicht um die Religion. Sie sah aus ihrem Fenster zu, wie ein Freund von Soldaten zusammengeschlagen wurde. Sie dachte, sie hätten ihn totgeschlagen, bis sie ihn Jahre später wieder sah. Erst erkannte sie ihn nicht, weil sein Gesicht entstellt war. Lana erzählte uns von ihrer Flucht nach Italien. Sie, ihre Mutter und ihre kleine Schwester liefen auf unterschiedlichen Straßenseiten, viele Meter voneinander entfernt – damit, falls auf sie geschossen würde, nicht alle drei getötet würden.
Ein Mitarbeiter des UNHCR fährt uns in die kroatische Hälfte der Stadt. Eine Frau rennt über die Strasse und beäugt das Auto ängstlich. Unser Fahrer bremst und winkt sie freundlich vorbei. Er lacht über ihren erstaunten Gesichtsausdruck. „Das hat sie nicht erwartet, jeder andere hätte hier Gas gegeben.“ Die Menschen haben sich durch den Krieg verändert, meint er.
Die Brücke von Mostar, das Symbol der Freundschaft und Völkerverständigung, wurde im Krieg zerstört. Sie hatte keinen strategischen Wert. Sie wurde zerstört, um die Stadt und ihre Menschen symbolisch zu trennen. Jenseits der Brücke stoßen wir auf das Niemandsland. Auf der einen Seite der Strasse stehen ausgebrannte Häuserruinen – das ist die Bosnische Seite. Auf der anderen Straßenseite stehen frisch gestrichene Häuser – die kroatische Seite. Ich trete auf den Streifen aus Gras und halte den Atem an. Minen, denke ich, nicht vom Weg abkommen! Ich springe auf den sicheren Asphalt. Mitten auf der Strasse liegt eine Handgranate.
Nina Hornauer
Nachtrag
Im Sommer 2000 startete das Sommercamp Projekt der „Jack BorgenichtPeace Initiatives“ in Zenica. Studenten arbeiteten mit Waisen- undFlüchtlingskindern aus ganz Bosnien, das Projekt lief über mehrere Sommer.
Mein Beschreibungen und Erfahrungen sind eine Momentaufnahme aus dem Jahr 1999. Das heutige Bosnien-Herzegovina sieht sicherlich anders aus, vieles hat sich seitdem verändert. Die Brücke von Mostar wurde übrigens wieder aufgebaut.
Bosnien Links:
http://de.wikipedia.org/wiki/Bosnien_und_Herzegowina
http://www.amnesty-exjugoslawien.de/bosnien/einleit.html
Literatur:
The Yugoslav Drama
by Mihailo Crnobrnja (Author)