Bericht von Nadia Russek, nadia.russek@live.de
Kuba: Von Kuba über Mexiko bis nach Hause gesegelt
Mit dem Schiff auf Weltreise – ein Schuljahr auf See
Die High Seas High School ist ein Schulprojekt der Hermann Lietz Schule in Spiekeroog. Sie ermöglicht jungen Erwachsenen der 11. Klasse der gymnasialen Oberstufe ein Lernen und Leben auf hoher See. Um die halbe Welt segelt dabei das Schiff mit den Schülern, den Lehrern und der Segelmannschaft. Der folgende Reisebericht handeln vom Leben auf See und an Land. Reiseroute: Kiel – Nordostseekanal – Brunsbüttel – Helgoland – Guernsey – Teneriffa – Palm Island – Tobago Cays – San Blas Islands – Martinique – Costa Rica – Kuba – Mexiko – Bermudas – Azoren – Tershelling – Borkum – Emden
 
Kubanische Revolutionäre und sowjetische LKWs
„Macht klar die Vorspring und die Achterleine!“ Nach der Etappe von Costa Rica über das Steuerparadies Cayman Islands steht uns ein Landaufenthalt auf Kuba bevor. In Santiago de Cuba, der zweitgrößten Stadt des Inselstaates, stolpern wir nach der gründlichen Zollkontrolle zwischen Pferdekutschen, Sowjet-LKWs, alten kanadischen Schulbussen und knarrenden DDR-Mopeds, chinesischen Fahrrädern und amerikanischen Oldtimern hindurch. Überall sind Plakate von großen Gestalten wie Ché Guevara und Fidel Castro, Cienfuegos oder dem Volksdichter und Freiheitskämpfer José Martí. Sie zeugen vom Sieg („patria o muerte“ – „Vaterland oder Tod!“), auch wenn der Zustand der Häuser und Schulen etwas anderes vermitteln wollen.
Am nächsten Tag besuchen wir eine kleine, aber revolutionsgeschichtlich bedeutende Hühnerfarm weit außerhalb von Santiago in Richtung Südostküste. Hier haben sich vor mehr als 50 Jahren die Revolutionäre um Fidel Castro versammelt, um Diktator Batista zu stürzen. Auf dieser Farm wurde der erste Putschversuch Castros, der Sturm auf die Moncada Kaserne in Santiago de Cuba, vorbereitet. Das Vorhaben schlug fehl, Castro ging ins Gefängnis und ins Exil nach Mexiko, um später mit Ché Guevara erneut den Putsch zu wagen. Doch Verrat und große Verluste zwangen zum Rückzug in die undurchdringlichen Wälder der Sierra Maestra im Osten der Insel, wo sie kubanische Freiheitskämpfer ausbildeten, was letztlich die Revolution zum Sieg führen sollten.
„Die Zukunft gehört dem Volke und es wird entweder nach und nach oder auf einem Schlag die Macht ergreifen, hier und auf der ganzen Welt. Leider aber muss es noch zivilisiert werden, und dies kann nur geschehen, nachdem es vorher die Macht ergriffen hat, ansonsten nie. Zivilisiert wird es, wenn es den Preis seiner Fehler kennt!“ Die eindringlichen Worte, die ein Marxist in den Bergen der Sierra Maestra dem jungen Che sagte, zieren heute das Denkmal in Santa Clara. Und sie begegnen uns wieder als wir Gäste sind in einer Schule für Hochbegabte in Pinar del Rio. Gemeinsam mit den Schülern dürfen wir den dortigen sozialistischen Schulalltag erleben und persönliche Kontakte und Freundschaften knüpfen.
Mit dem Alltag auf Kuba hatten wir uns schon vorher bekannt gemacht uns so stören uns die Stroh- und Rosshaarmatratzen auch nicht oder wenigen Zeiten, in denen es Wasser auf den Sanitäranlagen gibt. „Dieses Land ist schwer zu begreifen“, meint Santje und wundert sich darüber, dass die Armut hier nichts an der Lebenslust ändert. Nicht nur feiern die Schüler von Pinar del Rio mit uns eine ausgelassene Party – auch überall sonst begegnen uns fröhliche und lachende Gesichter. Und das obwohl man weder an Coca Cola, Chips, Kaugummi oder Sprite herankommt. Fünf Dollar die Minute kostet ein Telefonat nach Hause und in manchen Gegenden nicht mal einen Warmwasseranschluss.
Nicht nur die Kubaner, sondern auch wir bekommen die wirtschaftliche Situation auf Kuba zu spüren: Zwei Kranke aus unserer Gruppe können selbst in der Hauptstadt Havanna nicht mit Antibiotika behandelt werden, weil es wegen des US-Embargos eben gerade einen Engpass in der Medikamentenversorgung gibt. Insgesamt werden wir auf unserer Reise durch diese gänzlich andere Land wenige Touristen erleben, stattdessen sehr viel Gastfreundlichkeit, Interesse und typisch kubanische Sensibilität.
Pyramiden und Mayakultur in Mexiko
Dann verlassen wir Kuba und laufen nach zwei Seetagen in Mexiko ein. Wir erleben Isla Mujeres, eine amerikanisch – europäische Hochburg des Tourismus und Vergnügungsinsel für Hochseeangler und Sonnenhungrige. Die vielen dicken amerikanischen und lauten europäischen Urlauber erscheinen uns als krasser Gegensatz zu Kuba. Zwischen bunten Buden und Shops unter Palmen wird unser Anlegemanöver beobachtet bis dann das Festland nicht mehr von uns sicher ist. „Endlich wieder Cola!“, schreit Max und nimmt einen tiefen Schluck aus einer Flasche eines solchen Shops.
Doch auch hier erwartet uns eine spannende Zeit zwischen den Geheimnissen der alten Mayakultur, ihren Pyramiden in Chitzen Itza und schließlich ihrem unterirdischen Kanal- und Bewässerungsystem oder aber einem Aufenthalt auf einer einsamen Robinson Crusoe Insel, die wir im Rahmen eines Naturprojektes von Müll und parasitären Pflanzen befreien in riesigen Feuern am blauen Karibikstrand verbrennend entsorgen. Ein Schiff ohne Echolot im Nebel des Englischen Kanals
Die letzten Wochen auf hoher See haben uns Schülern noch ein Mal alles abverlangt. Der Kurs nach der Übergabe des Schiffes der Stamm- Segelmannschaft an uns Schüler führte durch den von Containerschiffen und Supertankern stark befahrenen Ärmelkanal zwischen England und Frankreich. Besonders abenteuerreich wurde es als uns immer wieder dichte Nebelbänke geisterhaft einhüllten und uns die Sicht nahm. In dieser milchig weißen und scheinbar undurchdringbaren Suppe liefen wir Gefahr von riesigen Handelsschiffen auf ihrem eiligen Weg in die nächsten Hafen überfahren zu werden.
Der Schülerkapitän ließ daher in Abständen von 5 Minuten das Nebelhorn ertönen und so konnten wir, trotz einiger Schiffsrümpfe, die ansatzweise steuerbords oder backbords für kurze Zeit an unserer Seite zu erkennen waren, ohne Kollision durch den Nebel kommen. Stark und intensiv erleben wir die letzten Minuten auf den Rahen des Großseglers beim Einlaufen. Wir erleben uns als Gemeinschaft, die sich See, Wind und Wetterextremen ausgesetzt hat und immer wieder zusammenraffte. In dieser Situation kurz vor dem feierlichen Empfang der Zuhausegebliebenen passieren die letzten Monate Revue: Neben Bildern aus dem Regenwald, von Delphinen oder Walen, dem türkisenen Meer der Karibik, natürlich auch der Seekrankheit, des Heimwehs, von Verletzungen oder Viren und Infektionen aller Art.
Solche Belastungen durften kein großes Problem für das Gesamtsystem Schiff darstellen: Ein anderer musste einspringen und Arbeiten übernehmen. Flexibilität und Einschränkung ist eben auf einem Segelschiff das Tagesgeschäft – bis man selbst die schon ausgeweiteten Grenzen weiter überschreitet und bei Sturm und Regen mehrere Stunden am Ruder steht. Doch es ist die Gewissheit und Erfahrung der eigenen Überwindbarkeit, das Gefühl von Freiheit und Stärke, das wir als großes Glück empfinden: der an die Knochen gehenden Kälte zu trotzen und mit offenen Augen ganz bewusst in eine dunkle Nacht voller Sterne zu schauen und jeder spürt es, als wir mit Willkommenssirenen in den Heimathafen einlaufen.
Vertraute Gesichter erscheinen uns nun und als Heimkehrende sind wir dann einfach nur noch bereit, die uns Erwartenden nach langer Fahrt in die Arme zu schließen.
Mehr zum Projekt:
Nadia Russek
(Hier berichtet Nadia vom Start der Reise: Teil 1)