Bericht von Boris Ephraim Weißmann, B_Weissmann@web.de China: Pekingente, große Mauer und Kungfu Die Chinesen gehen davon aus, dass die Handlungsmöglichkeiten eines Menschen von drei Dingen abhängen- der Kraft des Himmels (Himmelszeit), der Kraft der Erde (Erdzeit) und der Kraft der Menschen, die an diesem Ort zusammen kommen. Mein chinesischer Lehrer hat einmal zu mir gesagt, erst wenn man Pekingente gegessen, die große Mauer gesehen und Kungfu trainiert hat, war man in Beijing… Zu Punkt 1: „Ich hab die Ente gemeint…“ Trotz regelmäßiger Artikel über die hohen Giftstoffbelastungen in chinesischem Essen sind Restaurantbesuche ein Erlebnis. Schon bei der Auswahl der vielfältigen Speisen (so viele Regionen und Spezialitäten, dass man mühelos jeden Tag im Jahr ein neues Gericht probieren kann) lauern die ersten Schwierigkeiten- ach ja, die Sprache- was heißt noch mal Ente auf chinesisch? Setting: Chinesisches Nudelschnellrestaurant, keine englischen Schilder oder Speisekarten, ich, sitzend und kaltes Hühnchen (ohne Nudeln (“mian”), seufz, schmeckt aber trotzdem- hab doch Hühnchennudeln bestellt, oder?) und Grüntee schlürfend (ach so, die Stäbchen) an einem Tisch nahe der Essensausgabe.
Action: Die Tür geht auf, zwei große, muskelbepackte, englischsprachige Männer betreten das Lokal. Sie beratschlagen sich auf dem Weg zu der zierlichen Bedienung und kramen nach hektischer Suche ein Wörterbuch aus dem lässig umgehängten Bauchgurt. Ein kurzes Nachschlagen im vorsorglich mit Sortierzetteln gespickten Büchlein (ach so, die Sonnenbrillen noch abnehmen) und dann, … die Bestellung: der größere der Beiden neigt sich zur kleinen Chinesin herab, zeigt auf etwas im Wörterbuch und ruft: „Do you have this?“ Die Chinesin (auf chinesich): „Das haben wir nicht.“ Die beiden Männer schauen zuerst die Bedienung, dann einander groß an und verlassen wortlos den Ort des alltäglichen Dramas eines oder mehrerer nicht chinesischsprachiger Neuankömmlinge in den Restaurants des Lächelns.
Was die Pekingente (“beijing kaoya”, laut Wörterbuch) angeht, hatte ich da etwas mehr Glück. Ich aß „Punkt 1“ mit einem chinesichen Studenten, den ich in der Stadt kennen gelernt hatte, in einem recht guten (na gut, ich war ja erst zwei Tage im Land und man sollte sich vorsehen vor dem „Where are you from?“ an den Mainsights: Verkaufen, verkaufen…) aber auch recht teuren Beijingduck-Restaurant. Essen und Gespräch (kurze Einführung in mandarin) waren prima- es gab auch wirklich Ente (die Bestellung hätte ich sogar alleine hinbekommen- na? Jaja, die Speisekarte in „chinenglisch“). P.S.: Mein chinesischer Begleiter gestand dann nach etwas “piju” (chinesisch: Bier- das gute Qingdao aus dem ehemals deutsch besetzten gleichnamigen „Städtchen“ mit 1,6 Mio. Einwohner), dass auch er nicht verstehe, was 70 Prozent der Chinesen in unserem Restaurant sagen- achso, die vielen Dialekte. China ist halt einfach groß… Zu Punkt 2: “Seen the great wall yet?” Wenn man länger als 4 Tage in einem “Youth-travel-irgendwie-so-mit-vielen-backpackern-besetzten-hostel” in Beijing abhängt, wohnt, übernachtet, ist obige die wohl häufigste Frage zur ersten Kontaktaufnahme (“Seen any sights?” oder “How do you get there?” als Alternative). Ich für meinen Teil musste diese für die gesamte Aufenthaltsdauer in solch einem Etablissement verneinen (ganz schön anstrengend- aber mit der Zeit hat man sein übliches Erklärungs-Repertoire). Ich fuhr erst kurz vor Ende meines Aufenthalts mit einem öffentlichen Bus zur Mauer in Badaling (dort, wo die meisten Touristen sind- man kommt leicht hin und man muss auch schließlich, wie schon gesagt, einfach dort gewesen sein). Die Busfahrt (oder die Kraft der Menschen): Alle Einwohner von Beijing wollen nur eins: Englisch lernen! So auch meine Busbegleiterin, die mich, kurz nach dem ich mich auf einem der letzten freien Plätze (alles recht eng in den öffentlichen Verkehrsmitteln) niedergelassen habe, ansprach. Sie war mit einem kleinen “Extraspezialwörterbuch” für Busbegleitungen (ebenfalls „chinenglisch“) ausgerüstet und wollte mit mir ihre englische Aussprache üben („Houston, we have a problem! That”s an other story!“).
Die Fahrt entwickelte sich zu einem improvisierten „Englischunterricht“ für alle, sich in Hörweite befindlichen Fahrgäste, die jedes Wort, das mir meine Privatschülerin nachsprach, sofort im Chor wiederholten. Merke: es gibt auch Chinesen, die keine Probleme mit der Aussprache eines R haben! Die Fahrt war wirklich kurzweilig- ich im Mittelpunkt (so müssen sich die Stars bei einer Spazierfahrt fühlen, außer dass diese dann in die Kameras lächeln und nicht beim Suchen chinesischer Eselsbrücken für gesprochenes Englisch ins Schwitzen kommen). Das chinesische “tu” (würgen) wird ausgesprochen wie das englische “to”- übrigens “tschüß” (“tschuss” oder so ähnlich) sollte man zu einem Chinesen nicht sagen, es heißt in etwa: „Geh heim und stirb!“). Die Mauer- sie war lang, man sollte sie in Badaling nicht zur Hauptsaison besuchen und man folge auf ihr nicht dem Touristenstrom, sondern gehe in die entgegen gesetzte Richtung, falls man nicht lange laufen oder feilschen will und etwas Ruhe braucht (ich habe tatsächlich Bilder machen können von einem menschenleeren Badaling-Mauerabschnitt!). Zu Punkt 3: “Everybody is Kungfu fighting!” Der eigentliche Grund meines Chinaaufenthaltes. Merke: dein Kungfu-Lehrer kommt zu dir, nicht umgekehrt! Bei mir hat es gereicht durch einen der vielen schönen Parks (übrigens im Hochsommer auch die einzigen Plätze in der Stadt, an denen einigermaßen gute Luft ist- die Bäume halten den Smog ab!) zu laufen (ok, ok, bei den Taoisten ist das Schicksal schon arrangiert, es kommt nur darauf an, was man draus macht). Zu Kungfu (bei mir war es inneres Kungfu- Baguazhang und Taiji) kann man besonders viel oder besonders wenig sagen. In jedem Fall hat es mit Arbeit zu tun (kung bzw. gong bedeutet jedenfalls arbeiten), Baguazhang im Speziellen zeichnet sich besonders durch das Gehen im Kreis aus. Was für den Praktizierenden in Beijing so viel bedeutet wie: Ich begebe mich in einen der schönen vielen Parks, suche mir einen schönen Baum (vorzugsweise einen Nadelbaum, weil dieser mehr Kraft besitzt als ein Laubbaum) und umkreise ihn gemessenen Schrittes.
Dabei sollte man tief in den Bauch atmen, den ganzen Körper entspannen, die Beine wie den Schwingel in einer Glocke pendeln lassen, mit den Zehenspitzen zuerst Bodenkontakt aufnehmen und dann darüber ähnlich, wie beim Schlittschuhlauf, schleifen, das Becken leicht nach vorne kippen (als ob man sich gerade setzen will), die Wirbelsäule gerade aufrichten, die Arme hängen lassen und spiralig vor dem Körperdrehen, Handflächen nach unten, das Kinn leicht nach hinten ziehen, die Zähne leicht aufeinander beißen (ohne Spannung), die Zunge mit der Spitze an den oberen Gaumen legen (von der oberen Zahnreihe nach hinten rutschen bis zu der Stelle an welcher der Gaumen weich wird) und die Augen nur einen Spalt öffnen. In dieser Position laufe ich dann etwa eine halbe Stunde um den schönen Baum herum. Was wohl passieren würde, wenn man das in einem deutschen Park (der den chinesischen Parks zumindest in den Schildern, die das Betreten des Rasens verbieten, ähneln) praktizieren würde? In China jedenfalls erwarten einen durchaus von Zeit zu Zeit anerkennende Blicke, denn die chinesischen Parkaktivitäten sind generell recht kreativ. Da gibt es z.B. Männer, die sich über hunderte von Meter (die Parks sind groß) laut “hhoooo” und “aaaaahh” zurufen oder einen alten Mann, der alle Pfade des Parks rückwärts geht.
Außerdem gibt es noch die Taekwondo-Reck-Gruppe, deren Mitglieder neben Reckübungen die umstehenden Bäume mit ihren Beinen bearbeiten oder sich wie Bären mit dem Rücken am Baum (Bäume sind hier sehr beliebt) schrubben bzw. denselben daran werfen. Kleine Kinder, die mit Ihren Großeltern chinesische Doppel und Dreifachdrachen fliegen lassen, verschiedene Gesangs- und Tanzgruppen, Kickballzirkel jeden Alters und vieles mehr. So kreise ich in Erinnerung an China um einen Nadelbaum und warte, entsprechend der chinesischen Tradition, auf meine weitere innere Entwicklung. Boris Ephraim Weißmann