Bericht von Marianne Irmler und Heike Jansen, marianneirmler@web.de Nicaragua: El co-terapeuta – Therapeutisches Reiten Ausgangssituation In den ländlichen Regionen Nicaraguas, einem der ärmsten Länder in Lateinamerika, haben viele Familien aufgrund der mangelnden Infrastruktur keine Transportmöglichkeiten, abgesehen von Pferden oder anderen Lasttieren (Esel, Maultiere). Häufig besteht deshalb keine Möglichkeit für den Besuch eines Rehabilitationszentrums in der Stadt oder dem nächsten Dorf. Zudem muss eine Familie für den Besuch eines Zentrums einen gesamten Tag veranschlagen. Viele der betroffenen Familien leben von Subsistenzwirtschaft und können auch kleine Summen an das Rehabilitationszentrum nicht zahlen.
Des Weiteren fehlt ihnen das Busgeld, um zu den jeweiligen Zentren zu gelangen. Deshalb hatte Gladys Obregon, eine Physiotherapeutin der Elternorganisation für Kinder mit Beeinträchtigungen „Los Pipitos“, die Idee, das Therapeutische Reiten in Form von gemeinwesenorientierter Rehabilitation in Nicaragua zu implementieren. Die Projektidee entstand durch ihren Besuch beim „Nicaragua-Forum-Heidelberg“ in Deutschland, wo sie das Therapeutische Reiten erstmals kennenlernte.
Das Hauptziel des Projekts sollte die Ausbildung der betroffenen Familien sein. Dadurch sollte ihnen eine Möglichkeit für eine selbständige und kostengünstige Methode der Rehabilitation geboten werden, wobei natürliche und vorhandene Ressourcen genutzt und die gegebenen Bedingungen beachtet bleiben. Zentrale Aufgaben waren demnach Ausbildungsseminare im Therapeutischen Reiten für die betroffenen Eltern und Angehörigen. Eingebundene Organisationen Von September bis Dezember wurde im Rahmen des Stipendien-Programmes ASA von InWent GmbH dieses Projekt in Zusammenarbeit mit „Los Pipitos“ in Nicaragua durchgeführt. ASA ermöglicht jährlich ca. 240 Stipendiaten einen 3-monatigen Aufenthalt in einer entwicklungspolitischen Organisation in Afrika, Asien, Lateinamerika oder Südosteuropa. Die Teilnehmer des Programms sind Studenten, Bachelor-Absolventen oder Personen mit einer abgeschlossenen nicht-akademische Berufsausbildung, die zwischen 21 und 30 Jahren alt sind. Es reist in jedes Projekt ein Team von 2 Stipendiaten aus.
Los Pipitos arbeitet bereits seit 20 Jahren als Elterninitiative mit über 80 Zentren in Nicaragua, wobei das Instituto médico-pedagógico Los Pipitos (IMPP) in Managua die Zentrale der Organisation darstellt. Es besteht ein Netzwerk zwischen den Zentren, wodurch ein Wissensaustausch über Bedürfnisse und Bedingungen in den unterschiedlichen Regionen und Zentren stattfinden kann. Die Organisation setzt sich zusammen aus Fachpersonal sowie angelernten Eltern und Helfern. Der jährliche Spendenmarathon „Teleton“ finanziert die Organisation. Los Pipitos verfügt über eine einmalige Organisationsstruktur: In den meisten Zentren arbeiten kaum Fachkräfte und die gesamte Organisation wird von betroffenen Eltern getragen. Zudem ist die Organisation im gesamten Land nahezu der einzige Anbieter für Rehabilitation und deshalb in allen Regionen bekannt. Pferde in Nicaragua Pferde gibt es in allen Regionen Nicaraguas, sie werden als Arbeitstiere für Transport und Feldarbeit genutzt. Die Arbeit mit Pferden ist in Nicaragua Männersache. Auf dem Land besitzen und benutzen meist mehrere Familien gemeinsam ein Pferd und helfen sich so gegenseitig. Allerdings behält eine Familie ein Pferd in der Regel nicht länger als ca. 5 Jahre. Die Pferde werden immer wieder verkauft und neu gekauft. Ein Arbeitspferd kostet zwischen 3000 und 4000 Cordobas (= 162,- bis 216,- US$). Tierärzte werden auf dem Land kaum genutzt, stattdessen werden eigene Heilmethoden angewendet und die Lebenserwartung eines Arbeitspferdes beträgt hier ca. 18 Jahre. Neben den Arbeitspferden existieren Rassepferde für die “Hipicas” (=Pferdeparaden), die in fast jeder Stadt jährlich durchgeführt werden. Das Projekt Unsere Tätigkeiten während des Projekts bestanden in der Unterstützung im IMPP in den Bereichen Physiotherapie und Pädagogik sowie in der Planung, Organisation, Durchführung und Evaluation von Ausbildungsseminaren. Insgesamt wurden 4 Ausbildungsseminare, zwei in Managua mit “Los Pipitos”-Mitarbeitern aus verschiedenen Regionen, eines in Condega und eines in Somoto (beides im Norden des Landes) durchgeführt. Außerdem fand ein Elternseminar in Zusammenarbeit mit dem CBR-Programm Nicaragua (Community-Based Rehabilitation) und “LosPipitos Estelí” in Estelí/ Miraflor statt.
Die für die Seminare genutzten Materialien mussten für die Arbeit in den ländlichen Regionen zunächst adaptiert werden. Bedingungen wie eine mangelnde Energieversorgung oder die unterschiedlichen Lehr- und Lernmethoden mussten hier beachtet werden. Abgesehen davon führten wir Besuche in einem reittherapeutischen Zentrum in Managua durch, um eine Kooperation mit Los Pipitos zu initiieren. Ebenso wurde ein Besuch bei einer Familie im ländlichen Gebiet Miraflor gemacht, um Dokumentationsmaterial zu sammeln und Interviews zu führen. Zum Abschluss erstellten wir ein Archiv im IMPP mit allen genutzten Materialien, um den Mitarbeitern weiterhin eine Arbeit in dem Bereich zu ermöglichen. Die Seminare An den Seminaren (mit Ausnahme des Elternseminars in Miraflor) nahmen 46 Fachkräfte, Eltern und sonstige Interessierte aus 20 verschiedenen Gemeinden Nicaraguas teil. Davon waren 35 Frauen und 11 Männer dabei. Der Fachkräfteanteil war in den Seminaren in Managua deutlich höher als in den beiden Seminaren in den ländlichen Regionen. Hierbei zeigte sich jedoch, dass die Effektivität der Seminare in den ländlichen Regionen wesentlich höher war als in der Hauptstadt, da die Teilnehmer dort wesentliche Voraussetzungen mitbrachten: gute reiterliche Fähigkeiten, gewohnter Umgang mit Reittieren sowie eine höhere Motivation. In den Seminaren wurden sowohl theoretisches Basiswissen wie auch praktische Fertigkeiten vermittelt. Zudem nahmen Selbsterfahrungsübungen mit dem „co-therapeuta“, dem Pferd, einen großen Teil der Seminare ein.
Während in den Seminaren in Managua der theoretische und der praktische Teil nahezu gleichwertig war, überwogen die praktischen Anteile bei den Seminaren in Condega und Somoto eindeutig. Das Elternseminar in Miraflor nimmt hierbei eine gesonderte Stellung ein, da wir in diesem Fall den Seminarinhalt auf einen Tag kürzen mussten und aufgrund der gegebenen Umstände fast ausschließlich praktische Arbeit durchführten. Während und zum Ende der Seminare führten wir gemeinsam mit den Teilnehmern qualitative und quantitative Evaluationen durch, die wir in der Planung weiterer Seminare berücksichtigt haben.
Zum Ende unseres Aufenthaltes, vier bzw. sechs Wochen nach Durchführung der Seminare, fand eine erneute Evaluation statt, um die Entwicklung in den einzelnen Gemeinden verfolgen zu können. Hierbei zeigte sich, dass in allen Gemeinden in irgendeiner Form begonnen wurde, die neu erlernten Methoden zu nutzen. Die Aktivitäten reichten von bereits durchgeführten Elternseminaren, über Planungen derartiger Seminare bis zu Umfragen, um interessierte Eltern ausfindig zu machen oder Finanzierungsmöglichkeiten zu akquirieren. Nachhaltigkeit und Fortführung In einer abschließenden Evaluation gemeinsam mit den Mitarbeitern von Los Pipitos stellten wir heraus, dass vor allem Eltern aus den ländlichen Regionen in dieser Therapieform ausgebildet werden sollten, um die Ressourcen des Landes zu nutzen und die geeignete Zielgruppe zu erreichen. Dies würde einen größeren Erfolg und eine höhere Effektivität bei weniger Aufwand und weniger Kosten bedeuten. Die Zielgruppe könnte mit Hilfe des CBR-Programms ausfindig gemacht werden, wobei zugleich Mitarbeiter des CBR-Programms eingebunden werden sollten.
Den Gemeinden könnte verdeutlicht werden, dass sie keine reittherapeutischen Zentren aufbauen sollen, sondern die Therapieform gemeinsam mit den Eltern auf Gemeindebasis integriert werden kann; dort wo die personalen und materiellen Ressourcen vorhanden sind. Dies würde eine Implementierung des Therapeutischen Reitens auf einer dezentralen und in diesem Sinne auf Gemeindeebene bedeuten. Ein Finanzierungsantrag für eine Fortführung des Projekts wird derzeit von Los Pipitos erarbeitet. Die Organisation strebt eine Zusammenarbeit mit der Christoffel-Blindenmission (CBM) an. Marianne Irmler Heike Jansen